Der kleine und der große Tanz
Shiva und Parvati saßen eines Tages auf dem Gipfel des Berges Kailash, auf dem sich ihr Thron befindet. Shiva brüstete sich vor seiner Frau, dass er der beste Tänzer sei, der Nataraj eben, der König des Tanzes. Worauf ihm Parvati erwiderte , sie könne genauso gut tanzen wie er. Sie stritten sich und beide beharrten auf ihrem Standpunkt. Am Schluß schlug Shiva vor, ein Wetttanzen abzuhalten. Die anderen Götter wurden als Zeugen eingeladen. Shiva tanzte vor und Parvati sollte jeden seiner Schritte exakt kopieren. Könnte sie dies, hätte sie den Wettkampf gewonnen. Parvati kopierte jeden seiner Schritte exakt, nur noch etwas eleganter, und Shiva sah sich bereits als Verlierer des Wettkampfs, da verfiel er auf einen Trick. Er führte sein rechtes Bein in einer geschickten Bewegung über seinen Kopf hinweg. Parvati hätte diesen Schritt durchaus auch durchführen können, in der damaligen Zeit jedoch trugen indische Frauen keine Unterwäsche, und so hätte Parvati bei diesem Schritt den versammelten Göttern ihre Geschlechtsteile zeigen müssen. Das wollte sie jedoch nicht, um ihren Gatten nicht vor den versammelten Göttern zu demütigen. Deshalb verzichtete sie auf den Tanzschritt, und Shiva hatte den Wettkampf gewonnen.
Darum ist Shiva der große kosmische Tänzer, der in seinem Tanz die Welten entstehen und vergehen läßt, während Parvati den kleinen Tanz dieser Welt tanzt und für alles was bei uns geschieht zuständig ist, für Geburt und Tod. Aus diesem Grund ist sie mit ihren 108 Formen speziell in der Form der Durga als Beschützerin der Reisenden und der Familien (mit ihren vielen Armen, auf dem Löwen reitend) heute die meist verehrte Gottheit Indiens.
Nach einer anderen Legende kommt der Schritt Shivas daher, daß er während des Wettkampfs ohne seinen Tanz zu unterbrechen, mit dem Fuß einen heruntergefallenen Ohrring aufhob und ihn sich wieder ins Ohr steckte. Dies beeindruckte Parvati derart, daß sie aufgab und Shiva zum Sieger erklärte.