Geburt Garudas
Am Anfang der Zeiten lebte ein weiser Eremit namens Kashyapa mit seinen zwei Frauen in den Vorbergen des Himalya. Die beiden Frauen waren nicht sehr glücklich mit ihrem Mann, denn da er ein frommer Asket war, hatten sie wenig von ihm. Die meiste Zeit verbrachte er mit asketischen Übungen irgendwo im Dschungel. Als er eines Tages mal wieder in der gemeinsamen Hütte war, klagten sie ihm ihren Kummer. Darauf fragte er die Frauen, was sie denn eigentlich von ihm wollten. Ihre Antwort war einfach: "Was will eine Frau denn schon von ihrem Mann, Söhne, viele Söhne!" "Wieviele Söhne willst du denn?" wollte er von der Ersten wissen. "Wenn du mich so fragst, am liebsten 1000. 1000 starke Söhne!" erwiderte sie. Er wandte sich an die Zweite: "Und Du, wieviele willst Du?"
Nach kurzem Zögern meinte sie: "Zwei, mir genügen zwei, aber jeder der beiden soll 1000mal mächtiger sein wie alle 1000 Söhne der anderen zusammen."
Zur Verblüffung der beiden verschwand darauf ihr Mann ohne weitere Worte wieder im Dschungel. Sie waren total frustriert, entschieden sich aber doch noch einmal auf ihn zu warten. Als er nach ewig langer Zeit endlich wieder zurück kam, trug er zwei Säckchen auf seinen Schultern. In dem einen waren 1000 kleine, in dem anderen zwei große Eier. Er übergab sie ihnen, sagte noch: "Nun brütet sie mal schön aus!" und war schon wieder weg. Den Frauen blieb nicht viel anderes übrig als sich der Eier anzunehmen. Nach etwa einem Jahr begann sich etwas in den 1000 Eiern zu regen , und aus jedem von ihnen schlüpfte ein Nagaraja(Schlangenkönig, Symbol der vitalen Energie, weibliche Intelligenz). Die andere Frau beobachtete ihre zwei Eier, aber nichts tat sich. Sie brütete weiter. Nachdem noch einmal einige Monate vergangen waren, wurde Sie ungeduldig und fürchtete, die Eier könnten taub sein. In ihrer Ungeduld entschied sie sich eines zu öffnen. Sie zerbrach die Schale, und heraus kam Aruna, der Gott der Morgenröte. Er flog hinauf zum Himmel und verfluchte seine Mutter. "Weil du mein Ei zu früh geöffnet hast, bin ich noch ein halber Embryo! Ich bin die Sonne, bevor sie den Horizont erreicht! Hättest du gewartet, ich wäre der Sonnengott geworden, so bin ich nur sein Wagenlenker!" Als die Frau dies hörte, packte sie die Reue, und sie entschied sich mit dem anderen Ei zu warten, wie lange es auch dauern möge. Weitere Monate vergingen, und plötzlich bemerkte sie, daß sich in dem Ei etwas regte. Ein Eizahn begann vorsicht von innen das Ei aufzubrechen und heraus kam der Sonnenvogel Garuda (als Adler das schlauste und stolzeste Tier, Symbol des männlichen Geistes, Träger Vishnus). Er erhob sich in die Lüfte und sang ein Lied. "Halt, halt!" rief seine Mutter. "Flieg nicht weg! Dein Bruder hat mich verflucht, und Du mußt dafür sorgen,daß er den Fluch wieder von mir nimmt." Als er dies hörte flog Garuda in den Himmel und begab sich zum Gott der Morgenröte. Der beschied Garuda, daß er den Fluch nur zurücknehmen würde, wenn die Eitelkeit seiner Mutter bestraft würde. "Hole den Nektar der Unsterblichkeit (Amrita, Soma) von Indra(Zeus), dem Göttervater und bringe ihn zu unseren Halbbrüdern, den Nagarajas. Jetzt beherrschen sie schon die Magie, bekommen sie noch den Nektar, werden sie so lange leben wie die Götter und können genauso mächtig werden. Der Hochmut unserer Mutter wäre bestraft. Wenn du also das Amrita zu unseren Brüdern bringst, nehme ich den Fluch zurück." Garuda machte sich unverzüglich auf den Weg zu Indra, es kam zu einem heftigen Kampf und schließlich gelang es ihm, dem Göttervater das Gefäß mit dem Amrita zu entreißen und es zu den Nagarajas zu bringen. Die stürzten sich sofort darauf und wollten es trinken, doch er gebot ihnen Einhalt. Sie sollten 7 Tage Enthaltsamkeit üben und rituelle Reinigungen vornehmen, dann erst seien sie bereit für den Nektar. Da sie fromm und vertrauenseelig waren, hielten sie sich an seine Anweisungen, doch bereits am nächsten Tag kam Indra auf seinem Elefanten und raubte das Amrita zurück. (Es war eine abgekartete Sache zwischen Indra und Garuda. Garuda hatte nur zum Schein mit Indra gekämpft. Er hatte den Nektar unter der Auflage bekommen, sein Brüder lange genug hinzuhalten, damit Indra ihn zurückholen konnte.)
So wurde der Fluch aufgehoben und die Nagarajas erlangten trotzdem keine Unsterblichkeit.
Seitdem sind Schlangen und Adler Feinde, und Männer und Frauen können sich niemals richtig verstehen, denn der männliche Geist erhebt sich wie ein Adler zu den Sternen, während der weibliche Geist an der Materie verhaftet bleibt und wie eine Schlange im Staub kriecht.
In einer anderen Version dieser Legende hat der Weise Kashyapa(ein Enkel Brahmas) noch zwei weitere Frauen, von denen Devas und Asuras abstammen.
Eine weitere Legende berichtet davon, daß Garuda, als er im Himmel eintraf, sehr wild und stark war. Er kämpfte gegen alle Götter und besiegte sie, bis er schließlich auf Vishnu traf. Gegen ihn hatte Garuda keine Chance. Er mußte sich ihm unterwerfen und wird dadurch zu Vishnus Tragtier.